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Pro Regio Thun, 08. Oktober 1997
Freie Kehrichtverbrennungskapazität im Jahr 2000 auch ohne Neubau von KVA

Müssen im Hinblick auf das im Jahr 2000 in Kraft tretende Deponieverbot neue Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) gebaut werden? Die Anwort auf diese Frage hängt einerseits davon ab, wie gross die ohne Neubauten im Jahr 2000 zur Verfügung stehende Kapazität sein wird, andrerseits wie sich der Bedarf, d.h. die anfallende Kehrichtmenge entwickelt. Die freie Kapazität ergibt sich aus der Differenz der beiden Werte und reagiert daher auf Fehler sehr empfindlich.

1. Verbrennungskapazitäten im Jahr 2000
1.1 Auslastungsgrad
Die Nennkapazitäten der bestehenden KVA wurden im Juli 1997 durch eine Umfrage des Verbandes der Betriebsleiter Schweiz. Abfallbehandlungsanlagen VBSA erfasst (Grafik 1). Die Nennkapazitäten basieren auf einer Verfügbarkeit von 85% (7.8 Wochen pro Jahr Stillstand) und auf einem mittleren Heizwert des Kehrichts von 3.3 Mcal/kg. In der Praxis erreichen die meisten KVA Verfügbarkeiten von über 90% (auch die Prognose des BUWAL basiert auf 90% Verfügbarkeit). Zudem liegt der mittlere Heizwert in der Praxis deutlich tiefer, so dass mehr Kehricht verbrannt werden kann als der Nennkapazität entspricht. 1996 wurden in Colombier und Lausanne mehr als 110% Auslastung erreicht und im Jahre 1994, als noch mehr Kehricht anfiel, haben fünf grosse KVA (z.B. Basel) Auslastungen zwischen 110 und 120% ausgewiesen ("Abfall Statistik 1994", BUWAL UW 52 1996). Mit zunehmenden Spezialverwertung von Holz, Papier, Kunstoffen etc. hat der Heizwert weiter sinkende Tendenz, so dass Auslastungen von 120% durchaus realistisch sind.

1.2 Nicht aufgeführt
Ergänzt wurde die Statistik um die stillgelegte 2. Ofenlinie in Hinwil (42'000 Tonnen / Jahr) und um die nicht in der Statistik enthaltene KVA Brig (24'000 Tonnen / Jahr). Ferner um die zur Zeit in Planung oder Bau befindlichen Erweiterungen bestehender KVA, welche bis zum Jahr 2000 eine zusätzliche Nennkapazität von 170'000 Tonnen / Jahr ergeben.

1.3 Zementwerke
Der grösste Brocken sind die vergessenen Kapazitäten der Zementwerke. Zur Zeit werden in den Zementwerken 128'000 Tonnen / Jahr verbrannt, es ist erklärtes Ziel der Zementwerke dies auf 428'000 Tonnen zu steigern ("Energie aus Abfall", Arbeitsgruppe Neue Brennstoffe in der Zementindustrie, 2. Überarbeitete Auflage 1997). Damit könnten 450'000 Tonnen Kohle aus Übersee ersetzt und die CO2 -Emissionen um ca. 550'000 Tonnen pro Jahr reduziert werden. Dies würde zur Erreichung der Ziele von Energie 2000 entscheidende Beiträge liefern: 15 % an die Reduktion der CO2 Emissionen, 20% an den Ersatz fossiler Brennstoffe und 50 % an die Verwendung erneuerbarer Energien. Die Umwelteinflüsse wurden in einer wissenschaftlichen Studie umfassend untersucht, welche im Auftrag der Arbeitsgruppe Neue Brennstoffe in der Zementindustrie NBZ und des Verbandes Schweiz. Abfallbehandlungsanlagen VBSA durch das Ingenieurbüro Ernst Basler & Partner AG in Zürich durchgeführt und im April 1997 publiziert wurde. Das Fazit ist äusserst positiv: Neben der Reduktion der CO2 -Emissionen würden die Schwermetall-Emissionen (Cadmium, Quecksilber, Blei, Zink) um 84% gesenkt. Einzig bezüglich Staub und Schwefeloxiden ist die Gesamtbilanz leicht negativ, weil davon ausgegangen wird, dass der Ausfall an Stromproduktion in den KVA durch Import von Strom aus thermischen Kraftwerken in Europa ersetzt wird.

Gegen die ökologisch äusserst sinnvolle Verbrennung von Abfällen in Zementwerken werden die verschiedensten Argument ins Feld geführt. So wird etwa gesagt, die Zementwerke könnten keinen Hauskehricht verbrennen, was zwar richtig ist, aber auch nie behauptet wurde. Gleichzeitig wird aber verschwiegen, dass genügend geeignete Brennstoffe wie Altholz, Altpapier und Karton, Kunststoffe, Trockenklärschlamm, Altpneus, Altöl und Fette zur Verfügung stehen, welche heute noch in KVA verbrannt werden. Ferner wird oft behauptet, die Zementwerke sein keine verlässlichen Partner. Auch dieses Argument ist nichtig, denn um die Abfälle verbrennen zu können muss die Zementindustrie die Prozesse und die Filteranlagen anpassen, was grössere Investitionen erfordert und sicher nur bei langfristigen Verträgen erfolgen wird. Die Kosten betragen allerdings nur ein Drittel des Neubaus von KVA und die Umweltbilanz ist wie dargelegt wesentlich besser, zudem fällt keinerlei Schlacke an.

1.4 Zusammenfassung
Die durch das BUWAL prognostizierte Kapazität von 3.08 Mio. Tonnen im Jahr 2000 liegt mit Sicherheit zu tief. Wird die Auslastung der KVA realistisch eingeschätzt und die wahre Kapazität der KVA ausgenutzt, so kommt man auf ca. 3.5 Mio. Tonnen. Werden die Zementwerke sinnvoll einbezogen, so beträgt die Kapazität sogar gegen 4.0 Mio. Tonnen.

2. Bedarf
Um die anfallenden Kehrichtmengen analysieren und vergleichen zu können betrachten wir die pro Einwohner anfallende Kehrichtmenge (Grafik 2). Die in der Schweiz. tatsächlich angefallenen Werte basieren von 1980 bis 1994 auf Angaben des Bundesamtes für Statistik. Der Wert für 1996 entspricht dem Ausgangspunkt der Prognose, welche 1997 durch das vom bernischen Gewässerschutzamt als Ersatz für die Prognose von 1991 erstellt wurde. Man sieht, dass die Werte massiv nach unten korrigiert wurden, allerdings wird immer noch ein leichtes Ansteigen prognostiziert. Ganz im Gegensatz dazu stehen die Prognosen, welche durch das unabhängige ARENA-Umweltinstitut in Tübingen für das mit der Schweiz durchaus vergleichbare Baden-Württemberg erstellt wurde ("Von der Realität eingeholt, Baden-Württemberg benötigt keine weiteren Müllverbrennungsanlagen für den Restmüll, Thilo Schäfer, Müllmagazin 3/1997). Hier wird erwartet, dass die Restmüllmenge von 400 kg im Jahre 1996 auf 210 kg im Jahr 2002 sinken wird, wobei dieser Wert durch konsequente kalte Restmüllbehandlung (z.B. Kompostierung der Bioabfälle) noch deutlich gesenkt werden kann. Auf Grund der föderalistischen Struktur der Schweiz ist zu erwarten, dass es bei uns nicht so rasch gehen wird, aber Trend nach unten ist unverkennbar und anhaltend. Pro Regio Thun rechnet daher, dass sich die Müllmenge von heute 350 kg bis zum Jahr 2000 auf 300 kg abnehmen wird. Die Erfahrungen in Baden-Württemberg zeigen übrigens dass kaum ein Zusammenhang zwischen Bruttosozialprodukt und Kehrichtmenge besteht, trotz Anstieg des BSP um 6% von 1990 bis 1996 sank die angefallene Müllmenge um mehr als 50%. Die Prognose des BUWAL rechnet bis zum Jahr 2000 mit einem Anstieg auf 485 kg und steht damit völlig quer in der Landschaft.

3. Freie Kapazität

Die sich aus den verschiedenen Prognosen bezüglich Kapazität und Bedarf ergebende freie Kapazität ist in (Grafik 3) dargestellt. Das Ergebnis ist mehr als klar: Nur wenn man gleichzeitig die Kapazität zu niedrig und die Müllmenge viel zu hoch einschätzt, kommt man auf eine Kapazitätslücke. In allen andern Fällen gibt es im Jahr 2000 trotz Deponieverbot genügend Verbrennungskapazität. Beschränkt man sich auf wahrscheinliche Szenarien, so resultiert eine Überkapazität von 1 bis 2 Mio. Tonnen / Jahr !


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08.10.1997