PRO REGIO THUN, Arbeitspapier, 20. Februar 1999, v2
Kehrichtperspektiven II
- Was bisher geschah
- Heutiger Stand der Dinge
Zulässiges Bewilligungs-Verfahren?
- Kriterien/ Argumente
"Kehricht-Autonomie" ist nicht zeitgemäss
Umweltbelastung am Standort Thun
Verbrennung möglichst vermeiden
"Vergleichende Ökostudie" der AVAG
Kosten
- Fazit
- Vorgehen in 5 Schritten
a) Handlungsbedarf Projekteinstellung
b) Einsetzen einer neutralen Arbeitsgruppe
c) Erstellen einer Machbarkeitsstudie
d) Vernehmlassung / Beschluss
e) Begleitete Realisierung
- Was bisher geschah
Die Abfallpolitik der Schweiz befindet sich zur Zeit in einer heiklen
Umbruchphase. Das seit Jahren propagierte Verbot der Ablagerung von
Siedlungsabfällen auf Deponien soll im Jahre 2000 definitiv in Kraft treten.
Dies bestätigte jüngst auch das Bundesgericht mit Entscheid vom 11.11.1998:
Abfälle, welche bisher in Deponien entsorgt werden konnten, müssen gemäss
Technischer Verordnung über Abfälle ab Ende 1999 in KVA verbrannt werden.
Eine willkommene Entwicklung für die KVA Betreiber: Viele KVA sind seit
Jahren zu wenig ausgelastet und schreiben rote Zahlen. Hinzu kommt, dass
sich die Prognosen des Bundesamtes für Umwelt Wald und Landschaft Buwal,
welche ursprünglich den Bau von bis zu 15 neuen Kehrichtverbrennungsanlagen
vorsahen, infolge des kontinuierlichen Rückgangs an brennbaren Abfällen als
falsch herausstellten.
Im Berner Oberland und in weiteren Gebieten des Kantons ist die AG für
Abfallverwertung AVAG für die Verwertung der anfallenden Abfälle
verantwortlich. Sie hat die Abfallverwertung bisher im Rahmen einer
Ablagerung (3 Deponien) betrieben. Auftraggeber ist der Kanton Bern und die
der AVAG angehörenden Aktionärsgemeinden.
Im Hinblick auf das Deponieverbot im Jahre 2000 sah sich auch die
privatrechtlich strukturierte AVAG für eine neue Entsorgungslösung um und
begann mit der Planung einer eigenen Kehrichtverbrennungsanlage. Die Wahl
des Standorts fiel rasch auf das Areal der Kleinen Allmend in Thun (im
Eigentum des Bundes), als Technologie entschied man sich für die neuartige
Schwelbrennanlage SBA der Firma Siemens KWU.
1995 wurde die sog. "kantonale Überbauungsordnung" für die Schwelbrennanlage
SBA Thun ausgearbeitet. Dieses Planungsinstrument des Kantons Bern gilt als
Unikum. Es beschränkt die Mitbestimmungsmöglichkeit der betroffenen
Standortgemeinde massiv und räumt gleichzeitig der Kantonsregierung die
unbeschränkte Entscheidungsfreiheit einerseits bei der Planung andererseits
auch beim Baubeschluss ein.
Im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens anfangs 1996 regten sich erste kritische
Stimmen in der Bevölkerung. Man kritisierte insbesondere den Bedarf
angesichts von Überkapazitäten in bestehenden KVA, den Standort mitten im
Siedlungsgebiet und die unerprobte SBA-Technologie.
Die öffentliche Auflage der kantonalen Überbauungsordnung und des Baugesuchs
hatte neben unzähligen Leserbriefen auch zahlreiche Einsprachen und
Rechtsverwahrungen von Privaten und juristischen Personen (u.a. auch
Anstössergemeinden) zu Folge. Die Einspracheverhandlungen verliefen
ergebnislos und die Projektträger hielten an beharrlich Ihrer Planung fest.
Die Regierungen des Kantons Bern und der Stadt Thun erhielten darauf
zahlreiche schriftliche Eingaben von besorgten Einwohnern, eine innert drei
Wochen lancierte Petition gegen die Anlage wurde von über 6'000 Leuten
unterzeichnet.
Es meldeten sich auch diverse Umwelt- und Gesundheitsorganisationen aus der
Region zu Wort, welche die SBA Planung aus ökologischen und medizinischen
Gründen kritisierten.
Im Mai 1997 erteilte der bernische Regierungsrat die Baubewilligung für die
Anlage; kurz darauf wurde unter Mithilfe des Vereins "Pro Regio Thun" eine
Sammelbeschwerde gegen diesen Entscheid an das Verwaltungsgericht
eingereicht.
Schon nach kurzer Zeit stand fest, dass die SBA Technologie tatsächlich noch
in den Kinderschuhen steckte und mit gravierenden Konstruktionsmängeln zu
kämpfen hatte: Die SBA Pilotanlage in Fürth (D) musste kurz nach deren
Betriebsaufnahme wegen Reparaturen wieder abgestellt werden. Es ereigneten
sich in der Folge mehrere Störfälle, teils unter unkontrolliertem Austritt
von toxischen Schwelgasen, wodurch sogar Menschen verletzt wurden und
hospitalisiert werden mussten. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die
über 400 Mio. D-Mark teure SBA in Fürth definitiv stillgelegt und die
anfallenden Abfälle in nicht ausgelastete Anlagen transportiert werden
sollen. Ausserdem sind gegen diverse Verantwortliche der Firma Siemens
Strafverfahren hängig.
Da im Jahre 1997 weder Behörden noch die AVAG-Verantwortlichen die
angesprochenen Probleme ernst nehmen wollten, keine Bereitschaft zu einer
Diskussion über das Projekt zeigten und weiterhin am Projekt SBA Thun
festhielten, wurde die Opposition gegen die SBA Thun selber aktiv: So führte
sie öffentliche Podiumsdiskussionen mit Fachleuten durch, ausserdem wurden
alternative ökonomisch und ökologisch sinnvollere Entsorgungswege geprüft.
Im August 1997 musste der Buwal Direktor und oberste Abfallverantwortliche
der Schweiz, Dr. H.P. Fahrni zugestehen, dass die SBA Thun rein rechnerisch
gar nicht nötig sei.
Eine Überprüfung der Transportmöglichkeiten des in der AVAG Region
anfallenden Kehrichts via Bahnverlad in die Anlagen mit Unterkapazitäten
ergab, dass eine solche Lösung nicht teurer als die Entsorgung in einer
neuen eigenen Anlage zu stehen käme.
Aus Angst, allfällige Bundessubventionen zu verlieren, entschloss sich die
AVAG zu einem provisorischen Baustart ohne rechtskräftige Baubewilligung.
Anlässlich des Beginns der Aushubarbeiten für die SBA im Herbst 1997
protestierten 400 - 500 KVA-Gegner mit einem Trauermarsch.
Der Preisüberwacher wies in seinem Jahresbericht anfangs 1998 einmal mehr
auf die massiven Überkapazitäten in den bestehenden KVA und die rückläufigen
Abfallmengen hin und stellte die berechtigte Frage, ob der Bau neuer
Anlagekapazitäten angesichts dieser Situation noch sinnvoll sei.
Das Thuner Stadtparlament forderte im Februar 1998 einen Planungsstopp für
das Projekt Schwelbrennanlage SBA Thun.
Dessen ungeachtet gab das kantonale Verwaltungsgericht der Berner Regierung
im Mai 1998 recht. Es beurteilte die SBA Baubewilligung als rechtmässig.
Rund 30 Beschwerdeführende (Private und Organisationen) zogen daraufhin das
Urteil ans Bundesgericht weiter.
Im Juni 1998 gab die AVAG den Abbruch des Projekts SBA bekannt. In der Folge
obsiegten die Beschwerdeführer sowohl vor Bundesgericht als auch vor dem
kantonalen Verwaltungsgericht.
- Heutiger Stand der Dinge
Obschon im November 1998 die Parlamente des Kantons Bern und der Stadt Thun
den jeweiligen Regierungen erneut mittels Postulat den Auftrag erteilten, es
sei ein allfälliges KVA Moratorium zu prüfen und eine Neubeurteilung
anzustreben, werden die Planungsarbeiten für eine Verbrennungsanlage in Thun
hastig vorangetrieben.
Und wieder wird mit künstlich erzeugten Sachzwängen argumentiert: Wenn die
Baubewilligung nicht bis Herbst 1999 vorliege, würden auch diesmal
allfällige Bundessubventionen dahinfallen, heisst es. Offensichtlich will
man eine Neubeurteilung der gesamten verfahrenen Situation um jeden Preis
verhindern.
Dabei findet die Tatsache, dass mittlerweile die Bauentscheide für zwei
weitere KVA im Tessin und im Kanton Freiburg gefällt wurden, welche die
Überkapazität zusätzlich verschärfen, bei den Kehrichtplanern offensichtlich
keine Beachtung.
Nach mehreren Anläufen ist es gelungen, die diversen Kontrahenten zu einer
Gesprächsrunde an einen "runden Tisch Abfallentsorgung" zusammenzuführen.
Der Erfolg dieses runden Tisches hängt jedoch vom Handlungspielraum und von
der ernsthaften Bereitschaft der beteiligten Parteien, insbesondere der
Bauträgerschaft, ab, eine konstruktive Lösung für die Entsorgung der in der
AVAG Region anfallenden Abfälle finden zu wollen.
Eine Motion im Thuner Stadtparlament forderte im Januar 1999 die
Durchführung einer Konsultativabstimmung, um die repräsentative Meinung der
betroffenen Standortgemeinde-Bevölkerung zu erfahren; bekanntlich sieht das
Planungsverfahren der "kantonalen Überbauungsordnung" keinerlei
Mitentscheidungsrechte des Souveräns vor.
Obschon die Abstimmung Klarheit über die repräsentative Meinung der
Bevölkerung verschafft hätte, wurde sie aus rechtlichen und politischen
Erwägungen vom Stadtrat abgelehnt.
Zulässiges Bewilligungs-Verfahren?
Noch immer ist fraglich, ob das Planungsinstrument der "kantonalen
Überbauungsordnung", eine Art Notrecht, im vorliegenden Fall überhaupt
anwendbar ist:
Laut Aldo Zaugg "Kommentar zum bernischen Baugesetz", 1995, wird für die
"kantonale Überbauungsordnung" nämlich eine konkrete Gefährdung regionaler
oder kantonaler Interessen vorausgesetzt, welche dann als gefährdet
erscheinen, wenn die bestehende planungsrechtliche Ordnung oder das
kommunale Planverfahren nicht gestatten, sie in zweckmässiger Weise
vorzunehmen.
Die "kantonale Überbauungsordnung" hat laut Zaugg denn auch nur eine
vorläufige Geltung: Sie ist aufzuheben, sobald die Gemeinden des
Plangebietes ausreichende eigene Vorschriften beschlossen haben.
Als bisher einziger Anwendungsfall für die "kantonale Überbauungsordnung"
wird ein öffentliches Werk erwähnt, welches das Gebiet mehrerer Gemeinden
beanspruchte (Fall der Langeten Flusskorrektion).
Die Stadt Thun verfügt bekanntlich über ein eigenes gut funktionierendes
Verfahren zur Durchführung von kommunalen Überbauungsordnungen.
(Anwendungsbeispiel: Überbauungsordnung für das Selve Areal). Eine konkrete
Gefährdung von regionalen oder kantonalen Interessen liegt nicht vor (der
dringliche Bedarf für die KVA Thun konnte bisher nicht bewiesen werden),
weshalb hier eigentlich das reguläre kommunale Baubewilligungsverfahren
inkl. Volksabstimmung zur Anwendung gelangen müsste.
Der Verdacht drängt sich deshalb auf, dass hier das Verfahren der kantonalen
Überbauungsordnung einzig und allein zwecks Verhinderung der Mitbestimmung
des Stimmvolks herangezogen wird. Diese Absicht käme einem Entzug des
Stimmrechts gleich und wäre folglich klar verfassungswidrig.
Eine im Januar 1999 veröffentlichte unabhängige Studie des Preisüberwachers
ging der Frage nach, ob es nach Inkraftsetzung des Deponieverbotes im Jahre
2000 einen ungedeckten Bedarf in KVA gebe?
Sie kam zum Ergebnis, dass auch ohne Bau einer KVA in Thun im Tessin eine
Überkapazität an Kehrichtverbrennungen in der Schweiz besteht. Die KVA Thun
und Tessin würden gemäss Preisüberwacher mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit
"auf Vorrat" gebaut: "Eine realistische Planung nimmt daher zur Zeit und bis
auf weiteres aus ökonomischen Gründen Abstand vom Bau der KVA Tessin und der
KVA Thun."
Nichtsdestotrotz hat am 17. Februar 1999 die Berner Regierungsrätin Dori
Schaer-Born die Baubewilligungsphase gestartet, indem sie den Beginn des
Mitwirkungsverfahrens ankündigte.
- Kriterien/ Argumente
Es wird von keiner Seite mehr bestritten, dass die Kehrichtmengenentwicklung
weit unter den Prognosen geblieben ist, die als Berechnungsgrundlagen zur
Erstellung der heutigen (Über-) Kapazitäten dienten: Die Mengen sind auch in
den vergangenen Jahren weiter gesunken, die Auslastung der bestehenden
Anlagen ist ungenügend und die Bereitschaft der Bevölkerung, die
finanziellen Folgen dieser Fehlplanung mit zu bezahlen, sei es mit fixen
Entsorgungsgebühren oder - immer häufiger - mit einer verursachergerechten
Sackgebühr, nimmt stetig ab.
Bedingt durch die kontinuierlichen Rückgänge der Haushaltkehricht-Mengen
seit 1989 (jährlich ca. 4-5%) und aufgrund der verstärkten Bemühungen um
Separatsammlungen haben sich derart massive Rückgänge beim Kehrichtvolumen
ergeben, dass einzelne KVA in der Schweiz heute bereits um ihre
wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen (Bsp. zweistellige Millionendefizite
in Zürich). Verluste in Millonenhöhe im KVA Geschäft sind vorprogrammiert.
Nach der künftigen Entwicklung der Kehrichtmengen befragt, rechnen Experten
heute sowohl mittel- wie langfristig mit einer Stagnation oder einem
geringen Rückgang. Dabei überwiegt die Abnahme auf Grund weiter steigender
Gebühren (eine Mehrheit von Gemeinden in der Schweiz kennt heute noch keine
Sackgebühr), der weiter zunehmenden Separatsammlung und der
Vermeidungsbemühungen der (Verpackungs-) Industrie gegenüber einer möglichen
Zunahme wegen des ab dem Jahr 2000 geltenden Deponieverbotes für brennbare
Abfälle.
Kunststoffabfälle, welche rund 60% des Volumens eines Kehrichtsacks
ausmachen, könnten bereits heute sinnvoll weiterverwertet werden.
Je schwächer die Verbrennungs-Anlagen ausgelastet sind, desto teurer werden
die Entsorgungskosten.
Folgerichtig meinen die Experten, auf den Bau zusätzlicher Anlagen zur
Kehrichtverbrennung solle zurzeit zu Gunsten einer besseren Auslastung der
bestehenden Anlagen verzichtet werden.
"Kehricht-Autonomie" ist nicht zeitgemäss
Entscheidend ist aber, dass künftig die Koordination zwischen den
verschiedenen Akteuren innerhalb der Abfallwirtschaft verbessert wird. Es
müssten sowohl über Kantonsgrenzen hinweg ökonomisch und ökologisch
sinnvolle Lösungen gesucht werden. Über Verbundlösungen zwischen privaten
und öffentlichen Unternehmungen müsste die Effizienz der Entsorgung sowohl
bezüglich Auslastung der Anlagen wie auch bezüglich der Transporte
gesteigert werden. Kantone sind als Koordinationseinheiten offensichtlich zu
klein bzw. die Abfallmengen zu gering für wirtschaftlich und ökologisch
optimale Lösungen. Kleinräumigkeit ist in der Abfallversorgung zu teuer.
Parallel dazu, wird von Experten kommentiert, müssten die öffentlichen
Subventionen an Anlagen abgebaut, Kostenwahrheit realisiert und die
Betriebsrechnungen der Anlagen offengelegt werden.
So müssten in einem teilweise liberalisierten Entsorgungsmarkt
Wiederverwendungs- und Wiederverwertungslösungen gegenüber der Verbrennung
konkurrenzfähiger werden.
Dabei sind die Stellungnahmen des zuständigen Bundesamtes für Umwelt, Wald
und Landschaft Buwal oft widersprüchlich:
So äusserte sich Buwal Direktor Fahrni in einem Interview zum Transport von
Abfällen:
" Wenn wir bejahen, dass wir Mineralwasser aus Südfrankreich trinken,
Erdbeeren und Kiwis über den Ozean transportieren, ist die Frage nach dem
Transport von Kehricht über 40 Kilometer geradezu läppisch."
Gemäss der jüngsten BUWAL Abfallstatistik 1998 fielen im Jahr 1996 ca. 3.14
Mio. Tonnen an brennbaren Abfällen an, welche entweder per KVA entsorgt
wurden oder auf der Deponie landeten (Diese Zahl wird allerdings von
Fachleuten als zu hoch beurteilt). Dem gegenüber standen im selben Jahr
gemäss Buwal genau 3'148'626 Tonnen an Abnahme-Kapazität in den KVA zur
Verfügung.
Nicht eingerechnet sind hier weitere 173'000 Tonnen an Abnahmekapazitäten,
welche 1996 im Bau standen (Erweiterungen von KVA). Ebensowenig eingerechnet
sind dabei die Offerten der Zementwerke, welche sofort rund 150'000 Tonnen
brennbare Abfälle (Kunststoffe, Oel, Zellulose- Fabrikate etc.) zusätzlich
als alternative Brennstoffe annehmen würden. Die zur Zeit vorhandenen
Kapazitäten genügen (inkl. Reservekapazitäten) also auch gemäss Buwal
vollumfänglich zur Verwertung aller in der Schweiz anfallender
Haushaltabfälle auch nach dem Jahr 2000.
Ungeachtet der Aussagen seines Amtskollegen und der Berechnungen seines
Amtes äusserte sich vor wenigen Tagen der Buwal Direktor Philippe Roch
gegenüber der Presse (vgl. "Der Bund", 30.1.1999): "Wir haben nichts gegen
die Fortsetzung der Planung bei einzelnen Projekten." Er spreche aber nur
von den Planungen, nicht vom Bau.
Dabei hatte Buwal Direktor Roch im damaligen Zeitpunkt offensichtlich
übersehen, dass sich die KVA Thun in Kürze nicht mehr in der Planungs-,
sondern bereits in der Baubewilligungsphase befinden würde.
Umweltbelastung am Standort Thun
Abgesehen vom fehlenden Bedarf ist auch der geplante Standort für die KVA
inmitten von Wohngebieten eine krasse Fehlplanung. Die Stadt Thun ist punkto
Luftbelastung schon heute Massnahmenplangebiet, d.h. dass diesbezüglich
alles unternommen werden müsste, um eine zusätzliche Luftbelastung zu
vermeiden. Verursacher von Schadstoffbelastungen bei KVA sind einerseits die
Rauchemissionen der Verbrennung, andererseits die Abgase des dadurch
geschaffenen Mehrverkehrs.
Eine weitere ungelöste Frage beim Projekt KVA Thun ist die des Grundwassers.
In einer rechtsgültigen Grundwasserschutzzone eine KVA zu bauen, ist zwar
technisch nicht unmöglich, verteuert aber durch die zu treffenden
Schutzmassnahmen gemäss Schutzzonenreglement den Bau und somit den Betrieb
beträchtlich. Risiken und mögliche Unfälle sind nicht auszuschliessen. Das
räumen selbst die KVA Projektanten ein.
Das Trinkwasser der Stadt Thun wird in unmittelbarer Nähe des geplanten
KVA-Standorts in Flussrichtung abwärts gefasst. Die Folgen einer allfälligen
Katastrophe würden sich verheerend auf die Trinkwasserversorgung der Region
auswirken.
Die Kleine Allmend als Standort für die geplante Anlage liegt zwischen dem
Wohnquartier Lerchenfeld und dem Stadtzentrum von Thun und die KVA befände
sich unmittelbar neben Unterkünften des Waffenplatzareals. Es ist
offensichtlich, dass der gewählte Standort punkto Schadstoffemissionsradius
denkbar ungeeignet ist.
Mediziner aus der Region Thun warnen vor der zusätzlichen Belastung mit
Schwebestaub (PM 10), und Schwermetallen, insbesondere auch unter der
Berücksichtigung der meteorologischen und geographischen Verhältnisse des
vorgesehenen Standortes.
Verbrennung möglichst vermeiden
Umwelt-Fachleute im In- und Ausland raten heute generell davon ab, bei der
Kehrichtentsorgung alles auf die Karte "thermisches Verfahren" zu setzen.
Oft wird auch verschwiegen, dass Abfälle durch die Verbrennung in teils
hochgiftige gasförmige Stoffe (Dioxin) umgewandelt und in unkontrollierbarer
Form in der Luft abgelagert, also "deponiert" werden.
Staubpartikel und säurebildende Gase werden mit dem Regen ausgewaschen und
gelangen auf diese Weise auf den Erdboden zurück. Durch die Verbrennung
einer Tonne Kehricht wird der Sauerstoff von rund 2500 Kubikmeter Luft in
CO2 umgewandelt. Dies entspricht dem gesamten über einem Quadratmeter Boden
bis zur Höhe von 8000 Metern enthaltenen Sauerstoff.
Sodann fällt in der Verbrennung rund ein Drittel der Kehrichtmenge wieder
als hochgiftige Schlackenabfälle an, welche als Sondermüll behandelt werden
muss, z.B. in ausländischen Untertagdeponien.
"Vergleichende Ökostudie" der AVAG
Fängt für die Auftraggeber der besagten Studie die Ökologie erst an, wenn
die zum Teil über Tausende von Kilometern herangebrachten Waren zu Abfall
werden? Wenn eine in der Schweiz hergestellte Kinderpuppe Fr. 100.-- kostet,
eine im Fernen Osten hergestellte, trotz dem langen Transportweg nur Fr.
50.-- spricht niemand von Puppentourismus. Sobald aber Abfälle über 40
Kilometer transportiert werden, bezeichnen dies die kantonalen Planer gerne
als "Abfalltourismus".
Die von der AVAG in Auftrag gegebene "vergleichende Ökostudie" ist als
Grundlage für eine ökologische Beurteilung der KVA Thun irreführend und
untauglich. Sie beleuchtet nämlich nicht die gesamten ökologischen Aspekte
im Zusammenhang mit dem Projekt (obschon sie vorgibt, dies zu tun), sondern
einzig und allein die möglichen absoluten Emissionen einer Transportlösung.
Sie ist als Gefälligkeitsgutachten zu bewerten.
Sinngemäss behauptet die Studie nämlich:
Je mehr Verbrennungsanlagen aufgestellt würden, desto ökologischer sei dies
(!), da in diesem Fall die Transportemissionen immer kleiner würden.
Wahrlich eine schwer nachvollziehbare Auffassung von Ökologie.
Seit über einem Jahr verlangt Pro Regio Thun nachdrücklich die Erstellung
einer Studie durch unabhängige Stellen, worin die Optimierungsmöglichkeiten
des Kehrichts in der AVAG Region ganzheitlich untersucht würden.
Insbesondere müsste darin auch die Variante "kalte Restmüllbehandlung",
"Kompostierung", "Angebot der Zementwerke" und "Ausbau der Separierung" (z.
B. von Kunststoffabfällen) betrachtet werden. Weder der Thuner Gemeinderat,
die Kantonsregierung noch die AVAG hat sich bisher zustimmend zur
Durchführung einer solchen Studie geäussert.
Kosten
Ökonomische und realistische Alternativen zum Bau einer kostspieligen KVA
Thun existieren: Es liegen mehrere Verhandlungsofferten von
Verbrennungsanlagen vor, welche äusserst interessante Abnahmepreise
garantieren. Ausserdem hat sich die Firma ACTS, eine Tochterunternehmung der
SBB, bereit erklärt, die logistischen Aspekte (Transport, Verteilung, Umlad)
zu günstigen Konditionen zu gewährleisten.
Das Umweltschutzgesetz fordert unmissverständlich eine enge Zusammenarbeit
der Kantone zwecks Abbau von Überkapazitäten im Abfallwesen.
Seit kurzem ist die Kostenfrage im Gespräch. Eine Exportlösung sei teurer
als die eigene Verbrennung, heisst es. Dabei wird oft "vergessen" dass die
Kosten der Verbrennung in der mittlerweile "gestorbenen" Schwelbrennanlage
deutlich höher gewesen wären, als die derzeit diskutierten Exportkosten.
"Umweltschutz hat seinen Preis" schrieb die AVAG 1997 in ihrer
Propaganda-Publikation "Fakten". Der Mehrbetrag einer Gebührenerhöhung
rechtfertige sich aber "mit dem Nutzen für die Umwelt". Wenn also bis zum
Scheitern der SBA Thun vor wenigen Monaten noch eine sehr teure
Schwelbrennbehandlung finanziell zumutbar gewesen ist, kann die Variante
"Export" wohl kaum jetzt als zu teuer bezeichnet werden.
Angesichts der grossen Defizite und der Überschuldung des kantonalen
Staatshaushaltes und angesichts der bereits beim ersten (gescheiterten)
Projekt SBA erlittenen finanziellen Verluste in Millionenhöhe stellt sich
die Frage, ob sich der Kanton Bern eine Kehrichtverbrennungsanlage Thun,
deren Wirtschaftlichkeit heute auf unbewiesener Grundlage steht, überhaupt
noch leisten kann.
Zusehends wächst die Einsicht, dass ohne Berücksichtigung der sozialen und
gesellschaftlichen Aspekte jedes Abfallwirtschaftskonzept zum Scheitern
verurteilt ist. Neben den (umwelt-) technischen und den ökonomischen
Aspekten sind die sozialen Belange für die öffentliche Abfallentsorgung und
für die damit verbundene Entscheidfindung von grosser Wichtigkeit. Nur eine
Abfallwirtschaft, die dem in der Planung und Realisation ihrer Projekte
Rechnung trägt, wird sich als zukunftsfähig erweisen.
- Fazit
Das Spar- und Reduktionspotenzial im Abfallwesen ist heute insbesondere auch
in der AVAG-Region bei weitem nicht genügend ausgeschöpft.
Es besteht keine Notwenigkeit zum Bau der KVA Thun; einmal mehr dominieren
behauptete Sachzwänge über den gesunden Menschenverstand. Kein Wunder, ist
das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Projektanten bei der Bevölkerung
geschwunden.
Eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Lösung beinhaltet zwingend eine
ganzheitliche Betrachtungsweise. Die überstürzte Planung für die KVA Thun
zielt nicht auf eine Verminderung des Kehrichts ab, sondern einseitig auf
die Zementierung des Ist- Zustandes.
In autoritärer Manier soll in Thun ein Prestige-Projekt durchexerziert
werden, dessen Resultat (wie auch immer es ausfallen wird) am Ende
öffentlichen Mitteln berappt werden muss.
- Vorgehen in 5 Schritten
a. Handlungsbedarf Projekteinstellung
Um den Forderungen von politischer Seite, von Fachleuten sowie von weiten
Teilen der Bevölkerung Rechnung zu tragen und um eine unkontrollierbare
Kostenexplosion ins Unermessliche rechtzeitig zu vermeiden, ist der
unverzügliche Stopp des Baubewilligungsverfahrens für das Projekt KVA Thun
anzuordnen. Es ist bis auf weiteres ein KVA Moratorium anzustreben. Dadurch
würde die notwendige Zeit für eine Standortbestimmung und zur ernsthaften
Prüfung von Alternativen gewonnen.
Selbst der Sekretär des Verbandes Betriebsleiter Schweizerischer
Abfallbehandlungsanlagen, VBSA, Werner Ryser, befürwortete anfangs September
1998 ein KVA-Moratorium: "Wir brauchen Zeit, um die Tendenzen besser
abschätzen zu können."
b) Einsetzen einer neutralen Arbeitsgruppe
Die zuständigen Behörden setzen eine paritätische Arbeitsgruppe / Kommission
ein, mit dem Auftrag, die Möglichkeiten der Optimierung des Abfallkreislaufs
in der AVAG Region zu prüfen. Durch offene Information der Bevölkerung durch
die Behörden wird die notwendige Akzeptanz für das Projekt erreicht.
c) Erstellen einer Machbarkeitsstudie
Die Arbeitsgruppe/Kommission beauftragt aussenstehende, neutrale Fachleute
zur Erarbeitung des Konzepts für ein ganzheitliches, zeitgemässes
Abfallmodell unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten.
Im Auftrag erarbeitet diese Umwelt- und Abfallberatungsstelle anschliessend
eine Machbarkeitsstudie aufgrund von bereits vorliegenden Tatsachen sowie
von neuen Erkenntnissen. Ferner soll auch die bundesweite Abfallplanung
darin einbezogen werden.
d) Vernehmlassung / Beschluss
Das neue Konzept soll durch ein demokratisches Vernehmlassungsverfahren
(inkl. Volksabstimmung) laufen und wesentliche Verbesserungen laufend
berücksichtigen.
Durch die zuständigen Instanzen wird der Beschluss zur Realisierung der
gewonnenen Erkenntnisse gefasst. Die Ausführung erfolgt innerhalb kurzer,
aber vernünftiger Frist.
e) Begleitete Realisierung
Es ist anzustreben, dass die Realisierung des optimierten Konzepts in
transparenter Form geschieht, dies unter regelmässigem Einbezug von
Fachleuten und neuesten Erkenntnissen. Es muss sichergestellt sein, dass die
erzielten Fortschritte in Form von verbesserter Lebensqualität der
Bevölkerung zu Gute kommen.
Schliesslich soll das optimierte Abfallkonzept Vorbildcharakter erhalten und
als Musterbeispiel auch für andere Regionen dienen.
***
Dieses Arbeitspapier "Kehrichtperspektiven II" kann beim Sekretariat Pro Regio Thun gegen einen Unkostenbeitrag von Fr. 5.-- bezogen werden.
Bei diesen Stellen ist auch das 1997 erschienene erste Arbeitspapier "Kehrichtperspektiven:
Das Thuner Abfallmodell" erhältlich.
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