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Beobachter 18/2006
Mülltourismus - Jetzt haben wir den Dreck

Die Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen sind nicht ausgelastet. Die Folge: Fast eine halbe Million Tonnen Abfall wird 2006 aus dem Ausland importiert und hier verbrannt. Tendenz: steigend.

Die Bilder vor den Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) gleichen sich: Immer häufiger fahren Lastwagen mit ausländischen Kennzeichen vor und kippen tonnenweise Müll in die Bunker. Waren es vor drei Jahren noch rund 50 '000 Tonnen Güsel, die importiert und in einer der 28 Anlagen verfeuert wurden, bewilligte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) für 2006 bereits 480'000 Tonnen - fast das Zehnfache. Der Müll wird oft über Hunderte Kilometer in die Schweiz transportiert, seit in mehreren EU-Staaten ein Deponieverbot für organische Abfälle gilt.

Diese rasante Entwicklung erstaunt aus Sicht des Umweltschutzes: Bei der Verbrennung von Abfall entsteht unter anderem das Treibhausgas Kohlendioxid, CO2 genannt (siehe «Das Klimagift aus dem Brennofen»). Hält man sich dabei an die neuesten Bafu-Zahlen aus dem Jahr 2004, betrug der klimaschädigende CO2-Ausstoss aller KVA nicht weniger als 1,59 Millionen Tonnen.

Stefan Schwager, Chef der Sektion Siedlungs- und Bauabfälle im Bafu, meint zur importierten und staatlich abgesegneten Umweltverschmutzung: «Wir betrachten das Problem der Treibhausgase grenzüberschreitend. Für das Klima ist es besser, wenn der Müll energetisch genutzt und verbrannt wird, statt auf einer Deponie zu verrotten.» Auf Deponien bilde sich Methan, das rund 23-mal schädlicher für die Umwelt sei als CO2.

Das grosse Hin-und-her-Geschiebe
Nicht sauberrechnen lässt sich das zusätzliche Verkehrsaufkommen: Auf 40-Tönner verladen, entspräche die importierte Güselfracht von 480'000 Tonnen einer Schlange mit 12'000 Fahrzeugen. Von den insgesamt 3,1 Millionen Tonnen Abfällen, die in der Schweiz Jahr für Jahr verbrannt werden, gelangen 1,15 Millionen mit der Bahn zu den KVA - knapp zwei Millionen Tonnen werden auf der Strasse verfrachtet. Wie hier die Umweltbelastung ausschaut, weiss man beim Bafu nicht. «Für aufwändige Studien fehlen uns die Mittel», sagt Stefan Schwager.

Der Abfalltourismus zeigt mitunter groteske Auswüchse: So importiert beispielsweise die KVA in Trimmis GR Siedlungsabfälle über 300 Kilometer aus dem Raum Stuttgart. Gleichzeitig verbrennen aber mehrere Bündner Gemeinden ihren Müll nicht vor der Haustür, sondern im glarnerischen Niederurnen oder in den Zürcher Anlagen von Horgen und Hinwil. Der Zürcher Abfallverbund importiert daneben Kehricht aus dem süddeutschen Raum, und der Kanton Tessin, der noch keine KVA hat, liefert seine gut 100'000 Tonnen Abfall je zur Hälfte nach Weinfelden TG und an den Zürcher Abfallverbund. Weil Weinfelden nun aber einen längerfristigen Vertrag mit süddeutschen Lieferanten abgeschlossen hat, verschiebt man rund 25'000 Tonnen Tessiner Güsel weiter.

Warum das ganze Herumgekarre? Die hiesigen KVA werden von autonomen Zweckverbänden betrieben. Der Bund koordiniert zwar mit den Kantonen die KVA-Planung, hat aber zur Geschäftspolitik der Verbände nichts zu sagen. Die Anlagen sind so ausgelegt, dass sie über Reservekapazitäten verfügen. Ganz offensichtlich zu viel, sonst könnten die KVA-Betreiber nicht derart riesige Mengen ausländischen Güsel in die Brennöfen schieben. Je nach Berechnungsart liegen die Reserven zwischen sieben und fünfzehn Prozent; dem Bundesrat schweben als langfristiges Ziel fünf Prozent vor.

Riesige Nachfrage, tiefe Preise
Zu viel Reservekapazität schafft Sachzwänge. «Die Betriebs- und Kapitalkosten fallen an - egal, ob die Öfen voll oder nur teilweise ausgelastet sind», erklärt Peter Schmid, Direktor der KVA Weinfelden. Seine Anlage könnte mit dem Müll aus dem eigenen Verbandsgebiet nur zur Hälfte befeuert werden - die Verbrennungskosten wären entsprechend höher. Also muss Abfall von aussen her: Rund 31'000 Tonnen aus Deutschland sind es dieses Jahr.

Für die helvetischen Müllwerker ist der fremde Güsel ein Segen, denn die gut dotierten Importe haben den Preiskampf beim Abfall deutlich entspannt. Zuvor balgten sich die Verbrenner mit ihren überdimensionierten Öfen um die Mangelware Kehricht. Die Abfallhändler karrten die begehrte Ware - vor allem Industrie- und Gewerbemüll - zur KVA mit dem niedrigsten Abnahmepreis. Die Zeche bezahlten jene Haushalte, die die hohen Tarife von schwach ausgelasteten Anlagen berappen mussten.

Derzeit sind die einheimischen KVA nach Bafu-Angaben zu 98 Prozent ausgelastet. Die meisten erzielen Gewinne und konnten ihre Preise senken. Doch ab 2010 sollen in Deutschland eigene Öfen bereitstehen. Was passiert, wenn die Prognosen stimmen und die Müllimporte ab diesem Zeitpunkt zurückgehen? Aus Sicht des Bundesrats könnte das Timing kaum besser sein: «Bei gleich bleibenden Abfallmengen wird die freie KVA-Kapazität hierzulande etwa ab 2010 wegen der Stilllegung von alten Ofenlinien zurückgehen.» So werde unter anderem die KVA Josefstrasse in Zürich geschlossen. Und auch die KVA in Horgen wird in der kantonalen Planung als Auslaufmodell geführt.

Im gleichen Stil weiter
In beiden Fällen dürfte es sich um amtliches Wunschdenken handeln. Gemäss Tiefbau- und Entsorgungsdepartement der Stadt Zürich sollen auf dem Areal Josefstrasse weiterhin die Kamine rauchen - entweder werde die KVA weiterbetrieben oder am gleichen Standort ein Biomasse-Heizkraftwerk errichtet. Der Entscheid fällt bis Ende Jahr. Auch die Chefs der KVA in Horgen haben Zukunftspläne. Geschäftsführer Werner Gut schrieb im letzten Jahresbericht von einer für alle Zürcher KVA «vertraglich gesicherten Jahresmenge aus dem süddeutschen Raum», die grösser sei als die Kapazität der Anlage in Horgen. Für Gut steht denn auch fest: «In den nächsten Jahren ist die Diskussion über die Auslastung vom Tisch.»

Text: Bernhard Raos
Bild: Stefan Kubli


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24.09.2006