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Der Bund, 24.02.2000
Trotz Verbot wird weiterhin deponiert

Seit Anfang Jahr dürfen in der Schweiz keine brennbaren Abfällemehr deponiert werden. Das Verbot trifft im Kanton Bern vor allem die AG für Abfallverwertung (Avag), die ihren Abfall in ausserkantonale KVA transportieren muss. Doch der Export reicht nicht aus: Die Avag deponiert pro Woche immer noch mehrere Hundert Tonnen.

Der Sortierbagger greift unablässig zu. Immer und immer wieder gräbt sich die Schaufel in die Abfallberge, packt das unappetitliche Gut aus den Anlieferboxen und füllt damit die bereitstehenden gelben und orangen Container auf. Leer werden die zwei Boxen dennoch nie: Eben ist ein Traktor vorgefahren, der Ladewagen bis oben mit Abfallsäcken gefüllt, und entlädt nun seine Fracht. Peter Grosjean, Direktor-Stellvertreter der AG für Abfallverwertung (Avag), blickt auf das Gelände der Deponie Türliacher hinunter und erklärt das Geschehen: "Mit den orangen Containern transportieren wir Abfälle per Lastwagen in die KVA Buchs und Turgi. Die gelben gelangen per Bahn in die Ostschweiz - allerdings nur versuchshaber." Aus der Kehrichtdeponie Türliacher in der Gemeinde Jaberg ist seit Anfang Jahr ein Kehrichtumschlagplatz geworden. Die Abfälle aus den umliegenden Gemeinden werden hier nur noch gesammelt und für den Weitertransport in ausserkantonale Verbrennungsanlagen vorbereitet. Zwar könnte die Avag im Türliacher noch mehrere Jahre den Kehricht ihrer 150 Gemeinden aus dem Oberland, dem Emmen-, Aare- und Gürbetal ablagern. Doch seit dem 1. Januar darf sie dies nicht mehr. Brennbare Abfälle müssen in der Schweiz neu verbrannt werden. Die Avag, die bisher ausschliesslich deponiert hat, musste letztes Jahr ihre ganze Logistik überarbeiten und Abnehmer für die 90 000 Tonnen brennbaren Abfälle suchen, die in ihrem Gebiet pro Jahr anfallen. Fündig wurde sie in den KVA von Buchs und Turgi im Kanton Aargau sowie Zuchwil im Kanton Solothurn. Der Abfallexport ist für sie indes lediglich "Übergangslösung", bis sie die in Thun nach wie vor heftig bekämpfte eigene KVA vielleicht im Jahr 2004 doch noch in Betrieb nehmen kann.

Notnagel
Seit drei Wochen rollt nun der Avag-Kehricht grösstenteils auf der Strasse in die beiden Nachbarkantone. Doch nicht der ganze: Zwar lieferte die Avag den drei KVA von allem Anfang an mehr Kehricht, als die Betreiber zugesichert hatten. Und trotzdem sind laut Grosjean die Abfallberge im Türliacher und den übrigen Umschlagplätzen gewachsen. Reagiert wurde als erstes mit dem versuchsweisen Bahntransport in die Ostschweiz. Gegen 300 Tonnen pro Woche gehen in die KVA Weinfelden. Doch immer noch fällt mehr Abfall an, als abtransportiert werden kann. Die Avag deponiert deshalb wieder - trotz Deponieverbot. Der Kanton gab den Segen dazu. Wie Peter Grosjean dem "Bund" erklärte, erlaubt der Kanton der Avag, im Januar maximal 1000 Tonnen abzulagern. Die Ausnahmebewilligung sei als absoluter "Notnagel" zu verstehen, sagt Martin K. Meyer, Chef des Amts für Gewässerschutz und Abfallwirtschaft und damit oberster kantonaler Abfallplaner. Es gehe um "marginale Mengen"; und verglichen mit andern Kantonen (Kasten rechts) sei der Kanton Bern in Sachen Deponieverbot sogar ein "Musterknabe". Im Übrigen habe die Avag bisher nicht von der Ausnahmebewilligung Gebrauch gemacht. Hat sie doch: Nicht in der ersten und zweiten Januarwoche, wohl aber in der dritten. "Anders gehts nicht", sagt Grosjean. Trotz Bahnversuch nach Weinfelden blieben 200 bis 400 Tonnen pro Woche liegen. Das sind immerhin 10 bis 20 Prozent der insgesamt angefallenen Abfallmenge von wöchentlich rund 1800 Tonnen.

Neuer Antrag
Bereits steht fest: Bei der auf Januar befristeten Deponiebewilligung wird es nicht bleiben. Grosjean: "Für Februar müssen wir einen weiteren Antrag stellen." Und erst recht eng werde es ab Frühling, wenn erfahrungsgemäss mehr Abfall anfalle. Immerhin dürfte dann das geplante Ballenlager in Betrieb sein: Die Avag will Abfall zu Ballen pressen und lagern, um ihn später in der KVA Thun verbrennen zu können. Doch das Lager wird höchstens 10 Prozent und damit nicht allen überschüssigen Abfall fassen.

Preisproblem
Der Avag dürfte der grosse Abfallanfall nicht ungelegen kommen. Was widerlegt die rechnerischen Überkapazitäten in den Schweizer Verbrennungsanlagen, die Preisüberwacher und KVA-Gegner gegen die KVA Thun ins Feld geführt haben, besser als die nun in der Praxis eingetretenen Engpässe? Diese sind indes primär ein Preisproblem. "Würden wir jeden Preis zahlen, brächten wir den Abfall derzeit sicher weg", sagt Grosjean. Doch dazu ist die Avag nicht bereit. Der Abfallexport hat die Entsorgungskosten im Avag-Gebiet auf hohe 265 Franken pro Tonne getrieben - eine über 25-prozentige Erhöhung der Kehrichtsackgebühren war die Folge. Mehr liegt für die Avag nicht drin. Bereits der versuchsweise Export in die Ostschweiz verteuert die Entsorgung zusätzlich: Soll er nicht Versuch bleiben, müssten Verbrennung in Weinfelden und Transport dorthin 40 bis 50 Franken pro Tonne billiger werden, sagt Grosjean. Unterliegt die Avag in den Verhandlungen, werden die Entsorgungsengpässe sogar noch grösser - und damit auch die Abfallberge im Türliacher.

Investitionen soh.
Die Deponie Türliacher in Jaberg ist der grösste Umschlagplatz des Unternehmens "Übergangslösung Abfallexport" der AG für Abfallverwertung (Avag). Die beiden anderen mit Zielort Kanton Aargau sind in Wimmis und Uttigen. Zudem hat die Avag in ihrem weit verzweigten Gebiet schon seit jeher eine ganze Reihe von Kehrichtumladestationen betrieben: In Brienz, Interlaken, Zweilütschinen, Frutigen, Saanen, Zweisimmen und in Langnau werden wie bis anhin Abfälle angeliefert. Nur transportiert sie die Avag von dort nicht mehr in ihre Deponien weiter, sondern neu in die KVA Zuchwil.
Rund 3 Millionen Franken hat die Avag in ihre "Übergangslösung" investiert: für neue Bagger und Lastwagen, für den Umbau der 45 eigenen und Kauf der 20 neuen Container, für die beantragte Ballenpresse, für die Einrichtung der Umschlagplätze und für den Bau der Schlackendeponie (die Anlagen im Kanton Aargau liefern die Schlacke zurück, was der Avag die Entsorgung vergünstigt).

Verbot soh.
Das Deponieverbot für brennbare Abfälle wird in der Schweiz längst noch nicht überall eingehalten - am schlechtesten in den Kantonen Tessin, Ob- und Nidwalden. Im Tessin ist der Bau der KVA noch in weiter Ferne, die jährlich 125 000 Tonnen Abfälle werden weiterhin vollständig deponiert. Auch Ob- und Nidwalden deponieren ihre jährlich 30 000 Tonnen nach wie vor; eine Beschwerde des Departements Leuenberger ist beim Bundesgericht hängig. Einen Teil ihrer Abfälle deponieren vorderhand auch Waadt und Graubünden noch. "Insgesamt aber wurden grosse Fortschritte erzielt", sagt Marc Chardonnens, Chef Siedlungsabfälle beim Buwal. Noch 240 000 von total 3 Millionen Tonnen brennbarer Abfälle würden nicht verbrannt. Den Kanton Bern lobt Chardonnens als "mustergültig", er habe "alles daran gesetzt", das Verbot umzusetzen.
Das hat der Kanton indes nicht uneigennützig getan: Der Bund zahlt nur Subventionen an die geplante KVA Thun, wenn in der Zwischenzeit das Deponieverbot eingehalten wird.

JÜRG SOHM


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31.01.2000