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Berner Zeitung, Ausgabe vom 2. Juni 1999
KVA-Standort: der Thuner Statthalter schlägt Alarm

Thun. Dicke Post vom Schlossberg: Statthalter Anton Genna übt in einer Einsprache harte Kritik an der geplanten Kehrichtverbrennungs-Anlage. Er sieht «massive Gefahren» für die Bevölkerung.

Diese Woche werden die organisierten Gegner der Kehrichtverbrennungsanlage Thun (KVA) Hunderte Einsprachen deponieren. Doch eine einzelne Eingabe wird möglicherweise noch schwerer wiegen. Der höchste Vertreter des Kantons im Amt Thun, Regierungsstatthalter Anton Genna, gab gestern bekannt, dass er gegen den geplanten Standort Kleine Allmend Einsprache erhebt. Die Post vom Schlossberg Thun wird dem bernischen Regierungsrat, der das Projekt rasch vorantreiben will, schwer zu schaffen machen. Denn der Statthalter meldet massive Bedenken zum Standort im Siedlungsgebiet an.

Evakuation nicht möglich:
Bei einem Brand im Kehrichtbunker und beim Auslaufen von Ammoniak müssten 300 Meter rund um die KVA sofort abgesperrt und evakuiert werden. «Diese Vorgabe kann in der Praxis niemals erreicht werden», erklärt Anton Genna. Er weist darauf hin, dass sich im gefährdeten Gebiet Kasernen, Kantinen, private Industriebetriebe mit Publikumsverkehr, aber auch öffentliche Strassen und die Allmend als Naherholungsgebiet der Stadt befinden. Genna: «Betroffene Personen sowie Gaffer sind erfahrungsgemäss nur schwer zu überzeugen, einen Gefahrenbereich zu verlassen.» Fazit des Statthalters: «Die nötigen grossräumigen Evakuierungen und Absperrungen sind an diesem Standort innert nützlicher Frist nicht durchzusetzen.» Vor allem bei einem Ammoniak-Unfall sei mit schweren Verletzungen zu rechnen, wenn die Gefahrenzone nicht rechtzeitig verlassen werde.

Unfallgefahr besteht:
Im Umweltverträglichkeitsbericht zur KVA wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein mit Ammoniak beladener Lastwagen verunfallt, als sehr gering eingestuft. Deshalb sei das Risiko tragbar. Auch hier ist Anton Genna anderer Meinung: Im Militärareal und dessen Umgebung sei es schon zu schweren Unfällen gekommen, zum Teil sogar mit Beteiligung von Panzern und anderen schweren Fahrzeugen des Bundes. Genna: «Die Wahrscheinlichkeit, dass es einmal zu einem schweren Verkehrsunfall mit Havarie eines Ammoniaktanks kommt, darf deshalb nicht als vernachlässigbar klein bezeichnet werden.»

Im ungünstigsten Fall (Worst Case Szenario) wäre laut Genna mit einer mehrwöchigen Beeinträchtigung der Abwasserreinigungsanlage und mit einem grossen Fischsterben zu rechnen, möglicherweise auch mit einer Verschmutzung der Trinkwasserfassung Aaretal. «Vor allem aber kann der Ammoniakdampf schwere, im näheren Umkreis gar tödliche Verletzungen bewirken», warnt der Statthalter. Ein solches Szenario könne in einem dicht besiedelten und genutzten Gebiet «nicht hingenommen werden». Da die Evakuierung einer 300-Meter-Zone vor allem im Anfangsstadium nicht durchführbar sei, müsste «mit massiven Gesundheitsgefahren» für Anwohner, Mitarbeiter im Industrieareal und Passanten gerechnet werden.

Insgesamt kommt Statthalter Anton Genna zum Schluss, dass der geplante KVA-Standort aus der Sicht der Katastrophenvorsorge «nicht befürwortet werden kann». Die Wahl widerspreche dem Vorsorgeprinzip. Ghs

Interview:
Genna: «Aus Hochwasser gelernt»

Die Erfahrungen bei der Bewältigung des Hochwassers hätten ihn zur KVA-Einsprache bewogen, sagt Anton Genna. Interview: Godi Huber

BZ: Der Regierungsrat wird keine Freude an seinem Statthalter im Amt Thun haben. Als kantonaler Angestellter stellen Sie die kantonale KVA-Planung in Frage.

Anton Genna: Den Entscheid, ob die KVA gebaut wird, hat der -Regierungsrat noch nicht gefällt. Beim Hochwasser wurde den Behörden vorgeworfen, sie hätten zuwenig gewarnt, obschon das Ereignis so nicht vorhersehbar war. Bei der KVA ist der Störfall im Umweltverträglichkeitsbericht explizit enthalten. Trotzdem will man bauen, weil die Wahrscheinlichkeit und die Probleme bei der Evakuation heruntergespielt werden. Als Verantwortlicher für die Katastrophenvorsorge in der Region Thun ist es meine Pflicht, den Warnfinger zu heben. Das habe ich gemacht. Entscheiden muss der Regierungsrat.

Der KVA-Standort steht seit sechs Jahren fest. Warum melden Sie sich erst jetzt?

Wir haben während dem Hochwasser erfahren, wie schwierig die grossräumige Absperrung und Evakuation in Krisensituationen ist. Das hat mich sensibilisiert.

Es ist aber bekannt, dass Sie nicht nur der Störfall am KVA-Projekt stört. Ich habe als Statthalter bewusst nur die Störfallvorsorge analysiert. Bei den politischen Diskussion um Bedürfnisnachweis, Grösse der Anlage und Entsorgungskosten halte ich mich heraus. Als Privatperson habe ich aber schon Fragezeichen.

Haben Ihre Vorgesetzten verlangt, dass Sie schweigen? Nein. Die Zurückhaltung in der politischen Diskussion ist mein eigener Entscheid. Ich habe meine Meinung aber auch nie versteckt.

Ein Restrisiko gibt es bei jedem Grossprojekt. In diesem Fall ist das Restrisiko grösser, als die Planer wahrhaben wollen. Und was noch gravierender ist: Tritt der Störfall ein, lassen sich nach meiner Einschätzung Verletzungen nicht abwenden.

Kehrichtverbrennungsanlagen stehen anderswo auch im Siedlungsgebiet. Frühere Planungsfehler müssen nicht unbedingt in Thun wiederholt werden.

Soll die KVA auf der grünen Wiese oder gar auf dem Jungfraujoch gebaut werden?

Auf dem Jungfraujoch sicher nicht. Aber der Standort darf auch nicht mitten in einer Stadt sein.


TALK TO US
14.06.1999