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Berner Zeitung KANTON (27.02.1999)
Planer unterschätzten Volk

Abfallanlage-Planer strafen sich selber, wenn sie die Meinung der Bevölkerung ignorieren. Zu diesem Schluss kommt eine Nationalfonds-Studie zur Sozialverträglichkeit der Abfallwirtschaft.

Interview: Otto Hostettler BZ: Herr Joos, Ihre Studie zur Sozialverträglichkeit der Abfallwirtschaft müsste eigentlich den Titel tragen: Wie plane ich eine Verbrennungsanlage, dass ich sie garantiert nie bauen kann. Walter Joos: Nein, es müsste wenn schon heissen, wie plane ich eine Abfallanlage, dass sie nachhaltig ist und in einem gesamtschweizerischen Konzept Sinn macht. Aber Sie kommen in Ihrer Studie zum Schluss, dass es sich für Planer rächt, wenn sie zuvor die Meinung der Bevölkerung ignoriert hat. Ja, das stimmt auf jeden Fall.

Warum akzeptiert denn die Bevölkerung heutzutage nicht zum vornherein eine neue Abfallanlage? Die Bevölkerung hat häufig Angst vor Emissionen verschiedenster Art. Zum andern gibt es das im angelsächsischen Raum verbreitete «NIMBY»-Argument: 'Not-in-my-backyard'.

Das heisst soviel wie St.-Florians-Politik. Ja, aber der englische Ausdruck sagt es noch klarer: Jemand sagt nicht generell nein, sondern nur: Nicht in meinem Lebensraum. Das ist immer noch ein Hauptargument betroffener Leute, um gegen ein Projekt zu opponieren. Aber es gibt auch andere Gründe. Zum Beispiel, dass mit einer neuen Anlage Überkapazität geschaffen wird, was sich letztlich wieder auf die Konsumenten auswirken wird. Mir ist aufgefallen, dass die wirtschaftliche und sozialverträgliche Argumentation, also die Frage der künftigen finanziellen Belastung und der sozialen Akzeptanz in der Region, gegenüber Umweltbedenken stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Die in Thun geplante Verbrennungsanlage spielt in Ihrer Studie eine massgebende Rolle. Haben in Thun die Planer die Ängste der Bevölkerung unterschätzt? Ich glaube schon. Es wurde vor allem zu wenig gut kommuniziert. Denn zur Kommunikation gehört nicht nur, dass man Ängste ernst nimmt, sondern dass man auch auf Anliegen eingeht. In Thun haben die Gegner der Anlage gewisse Vorstellungen, wie eine Abfallplanung aussehen könnte. In diesem Bereich haben die Planer gewisse Dinge versäumt. Heute bin ich erstaunt, wie lernfähig die Planer sind. Jetzt streben sie zumindest besser abgestützte Lösungen an.

Wenn man in Thun aus den letzten Jahren nichts gelernt hat, wäre das ja alles andere als gut.
Zum Fall Thun möchte ich mich nicht im Detail äussern. Immerhin ist es beachtenswert, dass jetzt konsenorientert nach einer Lösung für die Abfallplanung gesucht wird. Ob es schliesslich eine Verbrennungsanlage oder sonst eine Lösung ist, spielt weniger eine Rolle. Wichtig ist, dass die Lösung breit abgestützt ist. Sie meinen, eine Abfallplanung muss nicht zwingend zu einer neuen Verbrennungsanlage führen? Richtig.

Sie kommen zum Schluss, die Bevölkerung habe wenig Vertrauen in die Abfallwirtschaft.
Warum?
Wir haben das in einer Expertenbefragung untersucht. Die Antworten waren teils kontrovers. Aber im wesentlichen sind es die Fehlplanungen, die zum Akzeptanzproblem führen. Zu den Fehlplanungen zählen auch die heutigen Überkapazitäten. Zudem spielt die Kostenexplosion bei den Abfallgebühren eine wichtige Rolle.

Sie sprechen in Ihrer Studie von fehlender Transparenz in der Abfallwirtschaft. Ja, aber die Transparenz bezieht sich eher auf die Organisation der Abfallwirtschaft und darauf, wie die Kosten entstehen oder wie Entscheide gefällt werden.

Zur Verbesserung des fehlenden Vertrauens schlagen Sie einen sogenannten Akzeptanzdialog vor. Hat dieses Instrument Zukunft? Ich denke, es ist ein Instrument, um die Anliegen jener Bevölkerungkreise einzubringen, die sonst einfach überstimmt würden. Man versucht in der Demokratietheorie generell, Formen wie einen runden Tisch einzuführen. In der Abfallplanung scheint mir dies sehr sinnvoll.

Aber ein runder Tisch sollte frühzeitig eingerichtet werden. In Thun ist es etwa fünf Jahre zu spät.
Ja, das ist vielleicht tatsächlich eine Hypothek des runden Tischs in Thun. Er wurde relativ spät eingeführt. Mit diesem Instrument müsste man bei der Planung von Anfang an arbeiten. Ich glaube, damit kämen die Planer auf einen Grünen Zweig und hätten auch keine grossen Akzeptanzprobleme.

Sonst wird der runde Tisch zu einer Alibiübung. Ja, aber es kann nicht nur darum gehen, dass die Planer die Widerstände in der Bevölkerung abbauen können. Umgekehrt könnte die Bevölkerung auch einsehen, dass es sinnvoll ist, eine Anlage zu bauen.

Könnte es nicht auch heissen, dass die Bevölkerung der Abfallwirtschaft ihre Vorstellungen zur Lösung des Abfallproblems schildert? Ja, sicher. Vielleicht wird dann sogar ein Opponent einsehen, dass eine Anlage nötig ist, weil es ein übergeordnetes Interesse gibt. Insofern kann man tatsächlich von einem Akzeptanzdialog sprechen. Nämlich dann, wenn ein Argument wirklich besticht.

Häufig verunmöglicht aber die Situation an und für sich solche Diskussionen. Ein Abfallunternehmen sieht es als seine grundsätzliche Aufgabe, eine Verbrennungsanlage zu bauen. Da kann ja kein Dialog entstehen. Richtig, das ist genau das Problem. Oft hat ein Verband irgend einen Auftrag, und daraus interpretieren sie ein Mandat des Stimmbürgers, eine Verbrennungsanlage zu planen.
Das würde dafür sprechen, dass in der Abfallplanung die Federführung noch viel stärker bei den Kantonen oder dem Bund liegen müsste. Ja, aber andererseits müssten in den Regionen wieder vermehrt jene Leute verantwortlich sein, die bereit sind, an einem runden Tisch mitzumachen. Sie schlagen vor, den Akzeptanzdialog rechtlich zu verankern. Gibt es Kantone, die das anstreben werden?
Realpolitisch betrachtet wohl kaum. Denn es gibt heute bereits rechtliche Möglichkeiten, womit Stimmbürger gegen ein Projekt vorgehen können. Etwa mit dem Verbandsbeschwerderecht. Ich glaube nicht, dass ein Kanton politisch den Mut hat, ein zusätzliches Instrument einzuführen. Dies würde Planungsvorhaben vermutlich noch stärker verzögern. Aber ein runder Tisch könnte das Verfahren genauso beschleunigen.
Hätte man in Thun von Anfang an einen runden Tisch eingerichtet, wäre man vermutlich viel schneller zu einer Lösung gekommen.

Also ein freiwilliges Sozialverträglichkeits-Prüfungsverfahren, analog zur Umweltverträglichkeit?
Ja genau. Wie eine UVP würde es eine SVP geben, eine Sozialverträglichkeits-Prüfung. In Thun habe ich das schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgeschlagen. Aber die Planer verwiesen auf das Umweltverträglichkeitsverfahren, mit dem man bereits genügend Arbeit habe. Zugegeben, es würde anfänglich eine grosse Opposition gegen ein solches Verfahren geben, aber vielleicht ist es langfristig ein Weg. Wenn die Planer die Sozialverträglichkeit abklären, haben sie mehr Chancen, etwas zu realisieren, als wenn sie es nicht abklären.

Sie schlagen zudem Dinge vor, gegen welche die Industrie Amok laufen wird:Produkte-Rücknahme- und Entsorgungspflicht. Ich glaube nicht, dass die Industrie Amok laufen wird. Sie wird auf den Geschmack kommen. Denn es könnte auch ein Geschäft sein.


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18.02.1999