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27. Januar 1999 Tages Anzeiger Schweiz
Güselstreit geht in nächste Runde

Der Preisüberwacher möchte den Bau weiterer Kehricht- Verbrennungsanlagen verhindern - gegen den Willen der Umweltbehörden. Nun gibt ihm ein Gutachten weitgehend recht.

Die Betreiber der bestehenden Kehricht-Verbrennungsanlagen (KVA) haben sich verrechnet. Entgegen ihren Prognosen ist die Abfallmenge in den letzten Jahren nicht gestiegen, sondern zurückgegangen. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich: die vielerorts eingeführten Abfallsackgebühren und die Rezession.

Gleichzeitig ist die Zementindustrie ins Geschäft eingestiegen. Sie verbrennt zurzeit 150 000 Tonnen Müll und will mittelfristig gar die doppelte Menge abnehmen.

Zürich importiert deutschen Müll
Das bleibt nicht ohne Folgen für die Abfallgebühren: Je schlechter die KVAs ausgelastet sind, desto mehr müssen sie für die Entsorgung einer Tonne Kehricht verlangen. Etliche Anlagen haben sich deshalb im grenznahen Ausland umgesehen. Zürich importiert zum Beispiel zusätzlichen Müll aus dem deutschen Waldshut.

Derweil planen die Kantone Freiburg, Bern und Tessin drei weitere, vom Bund subventionierte KVAs. "Ein Unsinn", kritisiert Preisüberwacher Werner Marti. Er will verhindern, dass wie bei den Spitälern gewaltige Überkapazitäten entstehen. Marti fordert deshalb ein KVA-Moratorium.

Gleichzeitig warnt das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) vor einem Entsorgungsengpass. Es verweist auf das Deponieverbot, das ab dem nächsten Jahr für brennbare Abfälle gilt. Gegen 600 000 Tonnen müssten dann zusätzlich verbrannt werden. Das erfordere weitere KVAs.

Verzicht auf Thun und Tessin
Ein von Marti in Auftrag gegebenes Gutachten stützt nun im Wesentlichen dessen Position. Die Studie wurde vom Zürcher Büro Infras und dem Lausanner Bureau d'aide à la décision erstellt. Sie geht davon aus, dass die bereits beschlossene Anlage in Freiburg gebaut wird. Unter dieser Voraussetzung seien Unterkapazitäten nur bei extrem pessimistischen Annahmen zu erwarten.

Selbst in diesem Fall lasse sich die Lücke aber ohne bauliche Massnahmen fast vollständig beheben - beispielsweise mit einer Verlängerung der Betriebsstunden. "Eine realistische Planung nimmt daher zurzeit und bis auf weiteres aus ökonomischen Gründen Abstand vom Bau der KVA Tessin und der KVA Thun", schliesst die Expertise.

Das Buwal wollte das Gutachten gestern Dienstag nicht kommentieren. Es machte jedoch darauf aufmerksam, dass der Bau einer KVA eine langfristige Sache sei. Hans-Peter Fahrni, Chef der Abteilung Abfall, will die Pläne deshalb weiter vorantreiben. Das pessimistische Szenario des Gutachtens entspreche etwa den bisherigen Prognosen des Buwal. Nach wie vor sei er der Ansicht, dass es neben Freiburg noch eine weitere Anlage brauche. "Wir sind nun mal Pessimisten", meint Fahrni.

Nur noch kurze Zeit Subventionen
Auch die Berner Regierungsrätin Dori Schaer sieht sich nicht zum Umdenken veranlasst. Sie will den Bau der KVA Thun weiterverfolgen. Bis Ende Oktober muss eine erstinstanzliche Baubewilligung vorliegen, damit sich der Bund zu rund einem Fünftel an der Finanzierung beteiligt. Ab November richtet die Eidgenossenschaft keine Subventionen mehr aus. Der Kanton Bern steht deshalb wie die anderen KVA-Interessenten unter Zeitdruck.

Vom Vorgehen des Preisüberwachers hält Dori Schaer wenig. "Das Gutachten bringt nicht sehr viel Neues", findet sie. Am meisten ärgert sie aber, dass Werner Marti das Papier gestern Dienstag veröffentlicht hat - zwei Tage bevor sich die Regierungsräte mit dem Buwal und dem Preisüberwacher zu einer Abfallkonferenz treffen.

Eigener Bau am billigsten?
An dieser Konferenz sollen das künftige Deponieverbot, das externe Gutachten sowie das Auslaufen der Subventionen diskutiert werden. Die Kantone Nid- und Obwalden möchten ihren Müll trotz Verbot weiter deponieren. Das Buwal wird diesem Begehren aber kaum nachgeben.

Zu reden geben dürften auch die Konditionen, welche die bestehenden KVA für die Übernahme von Abfall aus anderen Regionen stellen. Aus Rücksicht auf das eigene Gebiet sind die Preise oft relativ hoch angesetzt. Die Thuner hätten sämtliche Schweizer KVAs angefragt, weiss Dori Schaer. Unter Berücksichtigung der Transportkosten habe sich dabei gezeigt, dass ein eigener Bau am billigsten käme. Im übrigen habe keine einzige KVA für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren offeriert.

Dieselben Bedenken bringt der Tessiner Baudirektor Marco Borradori vor. Auch er will deshalb am Bau einer eigenen KVA festhalten.

Autor: Von Iwan Städler, Bern


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17.02.1999